15.09.2022 | Bundesarbeitsgericht entscheidet zur Arbeitszeiterfassung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Beschluss vom 13. September 2022 (Aktenzeichen: 1 ABR 22/21) entschieden, dass der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet ist, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht könne ein Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) bestehe nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt sei.

Sachverhalt

Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Daraufhin leitete der Betriebsrat ein Beschlussverfahren ein, mit dem er die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zur Erfassung der Arbeitszeit zusteht.

Entscheidung des BAG

Das BAG hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Auf die Frage eines Initiativrechts des Betriebsrats komme es nach Auffassung des BAG gar nicht an. Denn bei unionskonformer Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG, wonach der Arbeitgeber zur Sicherung des Gesundheitsschutzes für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen hat, sei der Arbeitgeber gesetzlich dazu verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.

Auswirkung der Rechtsprechung des BAG

Durch den Beschluss des BAG werden die Arbeitgeberpflichten hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung erheblich erweitert. Bisher galten Dokumentationspflichten für Arbeitgeber insbesondere bei der Beschäftigung von Minijobbern sowie bei der Beschäftigung von Arbeitskräften in bestimmten Wirtschaftszweigen (vgl. z.B. §§ 19 Abs. 1 AEntG, 17 Abs. 1 MiLoG). Darüber hinaus gilt gemäß § 16 Abs. 2 ArbZG eine Aufzeichnungspflicht für Sonntagsarbeit und für Arbeitsstunden, die über acht Stunden täglich hinausgehen. Der Beschluss des BAG verpflichtet nunmehr alle Arbeitgeber ein System einzuführen, mit dem die gesamte vom Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Der sehr kurzen Pressemitteilung des BAG kann man keine konkreten Vorgaben zur Art und Weise der Zeiterfassung entnehmen. Auch ohne Entscheidungsgründe des Beschlusses lässt sich jedoch festhalten, dass der Arbeitgeber angehalten wird, ein System der Zeiterfassung zur Verfügung zu stellen. Hier knüpft das BAG an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 14. Mai 2019 (Az. C-55/18) an, wonach die europäischen Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, ein objektives und verlässliches System zur Arbeitszeiterfassung zu schaffen. Diese Entscheidung des EuGH hatte die jetzigen Regierungsparteien veranlasst, sich im Koalitionsvertrag darauf zu verständigen, "im Dialog mit den Sozialpartnern zu prüfen, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein."  Diesem Vorhaben kam nun das BAG zuvor.

Sobald die Entscheidungsgründe vorliegen, werden wir darüber informieren, ob und inwieweit sich Auswirkungen im Rahmen der Zeiterfassung ergeben können. Gleiches gilt für künftige Gesetzgebungsvorhaben zur Arbeitszeiterfassung.

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