20.03.2018 | Zeitarbeit ein unverzichtbarer Baustein?

Während die deutsche Politik spätestens seit der vergangenen Legislaturperiode Flexibilitätsinstrumente einschränkt, wachsen die Herausforderungen, denen sich Arbeitgeber und ihre Belegschaften stellen müssen. Weder der digitale noch der demografische Wandel sind neu. Bausteine, um diese Herausforderungen zu meistern – sei es Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Know-how-Transfer durch Projektarbeit – haben eines gemeinsam: Sie bedingen den flexiblen Einsatz der Ressource Arbeit. Über die Frage, welche Flexibilität der deutsche Arbeitsmarkt zukünftig braucht und welche Rolle die Zeitarbeit dabei spielt, diskutierten gestern auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und des Bundearbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP) Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. In seiner Begrüßungsrede betonte Thomas Hetz, BAP-Hauptgeschäftsführer, die Notwendigkeit von öffentlichen Debatten über den hohen Wert der Flexibilität für die deutsche Wirtschaft. 

In seinem einführenden Impulsvortrag zählte Johannes Vogel, Sprecher für Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik der FDP, den fortschreitenden demografischen Wandel und die Digitalisierung zu den beiden Megatrends, die den Arbeitsmarkt derzeit am stärksten beeinflussen. "Zukunftsfähige Politik sollte zunächst einmal schauen, was sich verändert, und sich fragen, wie kluge Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik darauf reagieren können. Durch den digitalen Wandel wird die Arbeit nicht ausgehen. Aber wir müssen die richtigen Weichen stellen und in Bildung, digitale Grundfertigkeiten und in lebenslanges Lernen investieren", so Vogel. Im Hinblick auf die große Koalition forderte er eine Trendumkehr in der politischen Debatte: "Nach mindestens zwei Legislaturperioden politischer Debatte um immer weniger Flexibilität müssen wir darüber nachdenken, an welcher Stelle wir mehr Flexibilität brauchen." Die Digitalisierung ermögliche flexibles Arbeiten, doch dem stehe das starre und veraltete Arbeitszeitgesetz entgegen. "Menschen wollen ihre Zeit eigenständig und  flexibel einteilen." Darüber hinaus kritisierte Vogel, dass die Gründungsaktivitäten in Deutschland aufgrund starker Regulierungen zu gering seien. Technologische Innovationen werden daher oft nicht in Deutschland, sondern in anderen Ländern  umgesetzt. Auch die Sozialsysteme müssten dem heutigen Arbeitsmarkt angepasst werden. So sollte es beispielsweise flexible Renteneintrittssysteme geben, die es ermöglichen, den Eintritt in die Rente individuell zu gestalten. Gerade auch in Anbetracht der Menschen, die es am Arbeitsmarkt schwer haben wie zum Beispiel Langzeitarbeitslose, sei es der falsche Weg, die Flexibilität des Arbeitsmarktes weiter einzuschränken.

Hilmar Schneider, Leiter des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit, betrachtete den deutschen Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich. Schneider wies darauf hin, dass der Arbeitsmarkt auch in anderen europäischen Ländern stark reguliert ist. Doch Deutschland sei das einzige Land in Europa, dem es trotz dieser Regulierungen wirtschaftlich gut gehe: "Das, was wir in Frankreich, Spanien oder Italien auf dem Arbeitsmarkt sehen, ist das direkte Ergebnis eines zu stark regulierten Marktes, der den Unternehmen nicht den nötigen Spielraum verschafft, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein." Deutschland habe es geschafft, mit den Regulierungen gut umzugehen. So werde das Einstellungsrisiko von jungen Menschen für Unternehmen in Deutschland durch das duale Ausbildungssystem stark reduziert. Denn durch die passgenaue Vermittlung von Ausbildungsinhalten werden die jungen Nachwuchskräfte in Deutschland entsprechend gut auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Zum anderen führte Schneider die Zeitarbeit als wichtigen Faktor der deutschen Wirtschaft an. Denn durch die Zeitarbeit erhalten Unternehmen den Flexibilisierungsspielraum, den sie benötigen, um ihre Wachstumspotentiale auszuschöpfen. Als "statistischen Analphabetismus" beschrieb der Zukunftsforscher das Phänomen, durch das die politische Debatte über die Zeitarbeit immer wieder geprägt sei. Schließlich liege der Anteil der Zeitarbeit am Gesamtarbeitsmarkt seit vielen Jahren konstant bei 2 Prozent. Allerdings werden diese Zahlen in der Diskussion häufig emotional aufgeladen und nicht sachlich betrachtet. "Wir brauchen eine rationale Debatte in Deutschland", forderte Schneider.  

Arbeitsmarktökonom Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln unterstrich diese Einschätzung und sagte: "Der Zeitarbeit würde es gut tun, wenn sie mal ein paar Jahre in Ruhe gelassen würde. Ich kenne keine andere Branche, die derart häufig von Gesetzesnovellen betroffen ist. Die Zeitarbeit hat eine sehr wichtige Funktion für den deutschen Arbeitsmarkt. Um diese Funktion ausfüllen zu können, braucht die Branche Luft zum Atmen."

Sebastian Lazay, BAP-Präsident und Geschäftsführer der Extra-Personalservice GmbH, konnte dem nur zustimmen. Er schilderte den hohen bürokratischen Aufwand, den das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz für die Praxis nach sich zieht. "Wir beschäftigen uns tagtäglich mit  der Bürokratie, die uns enorm belastet und uns bei unserer eigentlichen Aufgabe, nämlich der Personalarbeit, stark beeinträchtigt. Statt mit wichtigen Themen, wie der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen oder der Förderung von Karrieren von Menschen, die sich weiterentwickeln wollen, müssen wir uns mit administrativen Tätigkeiten beschäftigen." So stelle das geänderte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz die Personaldienstleister vor große administrative und finanzielle Herausforderungen. "Durch strengere Regelungen, zum Beispiel bei dem Schriftformerfordernis, wird die Flexibilität der gesamten Wirtschaft gefährdet. Verschärft wird diese Situation durch harte Sanktionen", erklärte Lazay. So können schon kleine Fehler zum Verlust der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis führen oder Bußgelder von bis zu 500.000 Euro bedeuten. Weiter wies Lazay auf die starke Integrationsleistung der Zeitarbeit hin, die die Branche trotz der hohen Regulierung erbracht hat. Rund 27 Prozent der 44.000 Arbeitslosen aus den nichteuropäischen Asylherkunftsländern haben ihre Arbeitslosigkeit durch einen Job in der Zeitarbeit beendet. "Damit haben wir den größten Anteil an der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten. Das zeigt die enorme Kraft, die unsere Branche hat und die wir nicht durch weitere Regulierungen verschwenden sollten." In diesem Zusammenhang wies der BAP-Präsident auch darauf hin, dass es vor allem die Arbeitnehmer seien, die durch die Regulierungen betroffen sind. So fallen beispielsweise  Arbeitnehmer, die im Rahmen der Branchenzuschläge stufenweise ein höheres Entgelt erhalten, durch die Einführung der Höchstüberlassungsdauer nach 18 Monaten wieder auf die erste, niedrigste Entgeltstufe zurück. Darüber hinaus sind Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, die häufig länger als 18 Monate dauern, durch die Einführung der Höchstüberlassungsdauer nicht mehr möglich.

Einig waren sich die Teilnehmer der Diskussion darüber, dass die Zeitarbeit ein unverzichtbares Instrument für die deutsche Wirtschaft und ein attraktives Erwerbsmodell für Arbeitnehmer ist.

  • ©Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
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