„Wir müssen das Arbeitssystem der Kulturveränderung anpassen.“

20. August 2013, Ludwig Erhard Haus der IHK Berlin: Podiumsdiskussion mit Experten aus Wirtschaft und Gesellschaft der Region zum Thema Arbeitswelt von morgen (v.l.n.r.): Carsten Klehn, Matthias Horx, Dr. Ramona Schröder, Johannes Jakob, Oliver Köchert, BAP-Vorstand Peter Mumme. Foto: Michael Brunner

Megatrends verändern unsere Lebensweise, so Matthias Horx. Die Deutschen würden immer zu sehr moralisch argumentieren und hielten all das für gefährlich, über das sie sich aufregen würden, obwohl das negativ Beschriebene oftmals gar nicht negativ sei. Sie bräuchten grundsätzlich eine neue Ehrlichkeit in der Gesellschaft. Man habe zu viel Angst vor Veränderung. Es sei wichtig, Reibungsfläche und Individualität zu kultivieren und zu unterstützen. Nur so könnten sich Unternehmen in Zukunft auf dem Markt behaupten.

Auf Einladung des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP) in Kooperation mit der Industrie- und Handelskammer zu Berlin (IHK) präsentierte der Zukunftsforscher Matthias Horx im Ludwig Erhard Haus der IHK Berlin vor 140 Zuhörern anregende und interessante Thesen über die Arbeitswelt von morgen. Der Abend war Teil einer Veranstaltungsreihe mit Horx, die der BAP und seine Partner der Branchenkampagne „Die Zeitarbeit: Einstieg. Aufstieg. Wachstum.“ unterstützen.

Dr. Beatrice Kramm, Vizepräsidentin der IHK Berlin und Geschäftsführerin der POLYPHON Film- und Fernsehgesellschaft, und Steffen Wilke-Stern, BAP-Vizepräsident sowie Geschäftsführer von Akzent Personaldienstleistungen, begrüßten neben Kampagnenunterstützern, Gästen und Forscher Matthias Horx weitere Diskussionsteilnehmer: Dr. Ramona Schröder, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Berlin Mitte, Peter Mumme, Geschäftsführer der Mumme Personalservice Holding GmbH und Vorstandsmitglied des BAP, Johannes Jakob vom DGB-Bundesvorstand, Abteilung Arbeitsmarktpolitik, und Zeitarbeitnehmer Oliver Köchert, Buchhalter bei der Akzent Personaldienstleistungen Mitte GmbH.

Die Welt, in der wir leben, werde von Megatrends beeinflusst und verändere sich ständig, so Matthias Horx. Linear und auf den ersten Blick ersichtlich seien diese Trends jedoch nicht. Sie seien langsam, verliefen parallel und überlagerten sich. Vor allem aber wirkten sie in jeden Winkel dieser Gesellschaft hinein: Konnektivität beispielsweise, der erste vom Wissenschaftler ausgemachte Megatrend: Menschen würden immer mobiler und vernetzter, seien nicht mehr an einen Ort gebunden. Die zunehmende Individualisierung – der zweite Trend – spiele auch mit hinein und sorge dafür, dass Lebensmodelle und Daseinsformen verschiedener würden. Junge Leute vom Land würden bereits heute vermehrt Metropolen wie Berlin aufsuchen, um hier ihre Perspektive zu finden.

Horx präsentierte den Zuhörern eine so genannte Megatrends-Map – ähnlich dem Berliner U-Bahnnetz – mit simulierten Bahnhofstationen, die die Megatrends begleiten: Female Shift, Work-Life-Balance, Lebensstile, Klimawandel, neue Business-Moral, Bio-Boom, Urbanisierung, Mobilität, Silver Society, Fachkräftemangel, Life-Long-Learning usw. „Die Zeitkultur verändert sich“, so Horx, und damit auch die Formen in der Arbeitswelt. Das Verhältnis von Zeit und Arbeit sowie Arbeit und Leben würde individuel-ler. Lebensläufe würden fragmentierter. Dies müsse man in Zukunft berücksichtigen.

Frauen weisen in Deutschland seit dem Jahr 2010 ein durchschnittlich besseres Bildungsniveau auf als Männer, so der Zukunftsforscher. Würde der Staat die Potenziale der Frauen nutzen, prognostiziere Horx ein um 15 bis 20 Prozent steigendes Bruttoinlandsprodukt. Das Problem, dass Frauen nicht in den Führungsetagen zu finden seien, liege an der männerbasierten Präsenzkultur. Peter Mumme betonte in der anschließenden Diskussion den vergleichsweise hohen weiblichen Anteil von Führungskräften in der Zeitarbeitsbranche. Sie liege damit im prognostizierten Zukunftstrend von Horx.

Als „schwarze Pädagogik“ komme Horx das deutsche Rentensystem vor. Es scheine, dass Deutsche, da sie älter würden, vom Staat mit einem höheren Eintritt in das Rentenalter bestraft würden. Das Ren-tensystem der Finnen sei entgegengesetzt aufgebaut, so Horx. Dort habe man das Rentenalter herab-gesetzt und ein Bonussystem geschaffen, dass diejenigen mit höheren Rentenanteilen belohne, die sich entscheiden, länger zu arbeiten.

Und die Arbeitswelt? Wie wird sie beeinflusst von all diesen Entwicklungen? Die Vielfalt der Berufe wird laut Horx steigen, immer mehr Sektoren mit immer detaillierteren Verfeinerungen wird es geben. Das klassische große Unternehmen mit Führungsetage und vielen geführten angestellten Mitarbeitern könnte sich bald zum Netzwerk wandeln, bei dem es darum gehe, Teams zu bilden und diese „zum Selbsttun anzuregen“, so Horx. Hier brachte der Forscher den Begriff „Flexicurity“ ins Spiel: ein Arbeitssystem, das hochmodern Flexibilität gewähre und auf verschiedene Lebenslagen eingehe – und doch auch Sicherheit gebe. „Wir müssen das Arbeitssystem der Kulturveränderung anpassen.“ Flexibilisierung sei positiv, werde jedoch zu wenig nachgefragt. Der Trend sei jedoch bereits in der Gesellschaft vorhanden.

Dänemark habe kein Kündigungsschutzsystem für die Arbeitnehmer, doch verzeichne man dort bemerkenswerter Weise die geringste Arbeitslosenquote. Dänemark habe ein System mit Jobtrainern und Arbeitsvermittlung geschaffen, das eine schnelle Wiedereinstellung von Arbeitnehmern ermögliche. Wir selbst scheinen auf diesen Wandel laut Zukunftsforscher Horx aber noch wenig vorbereitet zu sein. „In Bezug auf die Arbeitswelt denken wir noch alt“, stellte er fest. Gewünscht sei nach wie vor der eine, sichere Arbeitsplatz– möglichst ein Leben lang. Dabei müsse es zukünftig darum gehen, für verschiedene Lebenslagen der Mitarbeiter auch verschiedene Verträge bereit zu halten.

Nach dem Vortrag wurde über die Rolle der Zeitarbeit und die Zukunft der Arbeit debattiert. Das Thema: Wie profitieren Unternehmen, Gesellschaft und Arbeitsmarkt vom Wirtschaftsfaktor Zeitarbeit?

Dr. Ramona Schröder bestätigte Entwicklungen und eine Trendwende innerhalb der Branche. Die Nachfrage nach Helfern gehe signifikant zurück. Zunehmen würde hingegen der Zeitarbeiter- und Fachkräftebedarf, vor allem im Gesundheitsbereich und für Bürotätigkeiten. Allerdings: „Veränderungen vollziehen sich langsam“, so Dr. Schröder. Sie stellte darüber hinaus fest, dass der rund 2,5 Prozent-Anteil von Zeitarbeitnehmern an den sozial Versicherungsbeschäftigten insgesamt gar nicht so hoch sei wie Äußerungen über die Zeitarbeitsbranche es nahelegen würden und berichtete weiter: „30 Prozent unserer Vermittlungsaktivitäten gehen in die Zeitarbeit, mit zurzeit fallender Tendenz.“

Zeitarbeitnehmer Oliver Köchert sagte, dass Selbstvermarktung für ihn ein Graus sei und er es daher begrüße, dass sein Personaldienstleister sich um seinen kommenden Job kümmere. Der Buchhalter bei der Akzent Personaldienstleistungen Mitte GmbH war der Meinung: „Zeitarbeit ermöglicht mir Weiterbildung, die ich sonst nicht erfahren hätte.“ Für ihn ist Zeitarbeit ein ganz normales Beschäftigungsverhältnis.

Johannes Jakob führte aus, dass es richtig sei, dass grundsätzlich mehr Flexibilität in der Gesellschaft gefordert sei. Ob dies über die Zeitarbeit geschehen soll, stellte er in Frage. In puncto Flexicurity (Verbindung von Flexibilität und Sicherheit) sei Deutschland - im Gegensatz zu Skandinavien - jedoch rückständig. Er finde nicht gut, dass in Deutschland nach einem Jobwechsel oftmals ein geringeres Gehalt an den Arbeitnehmer gezahlt würde. Ein großes Problem seien grundsätzlich die Geringqualifizierten. Angesichts dieser Tatsache schlug der DGB-Gewerkschafter einen Qualifizierungsfonds vor, in den die Bundesagentur für Arbeit als auch die Steuerzahler und andere einzahlen sollten, um gering qualifizierten Arbeitnehmern eine bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben.

Peter Mumme sagte: „Wir Personaldienstleister bilden unsere Zeitarbeitskräfte fort, oft in kleinen, aber entscheidenden Modulen. Damit haben sie auf dem Arbeitsmarkt eine höhere Chance.“ Ein Wandel innerhalb der Branche sei bereits bemerkbar: Mehr Hochqualifizierte als bisher würden Zeitarbeit als Alternative für sich entdecken. Die Nachfrage von gering- zu höherqualifizierten Zeitarbeitnehmern sei ein steigender Trend in der Zeitarbeitsbranche. „Wir als Personaldienstleister spielen eine wichtige Rolle in Bezug auf Flexibilität und Mobilität“. Der Horx-Vortrag habe Mumme gezeigt, dass er sich um die Zukunft der Zeitarbeit keine Sorgen machen müsse, „denn sie sei bereits ein Teil der Zukunft, die unaufhaltsam ist.“

Im Rahmen der Branchenkampagne „Die Zeitarbeit: Einstieg. Aufstieg. Wachstum.“ wird Matthias Horx noch in diesem Jahr in Stuttgart (9. September)  und München seine Trends und Thesen über die Zukunft der Arbeit präsentieren.

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