
Herr Dinges, warum investiert die Zeitarbeitsbranche so viel in die Qualifizierung und die Weiterbildung ihrer Arbeitnehmer?
Andreas Dinges: Ganz einfach: Was wir im Ungefähren schon lange wissen, hat eine aktuelle Umfrage bestätigt, die Adecco bei TNS-Infratest in Auftrag gegeben hat. Demnach sehen 67 Prozent aller Personalentscheider im Handel, Industrie und Dienstleistung im Fachkräftemangel die Herausforderung der Zukunft. Nur jedes vierte Unternehmen kann seine offenen Stellen derzeit bedarfsgerecht besetzen. 50 Prozent verfügen über zu wenige Bewerber mit Fachschul- oder Fachhochschulabschluss. Selbst im Bereich der ungelernten Tätigkeit haben 72 Prozent der Bewerber eine zu geringe Qualifikation.
Wie spiegelt sich das in der Zeitarbeit wider?
Dinges: Genauso, wie es diese Umfrage darstellt. Wir sprechen viel mit unseren Kundenunternehmen. Und da sehen wir ganz deutlich, dass der Fachkräftemangel seine Schatten voraus wirft. Ein gutes Zeitarbeitsunternehmen muss das Thema Qualifizierung abbilden, um in der Lage zu sein, die Mitarbeiter mit der Qualifikation anbieten zu können, die der Kunde braucht.
Schon jetzt kann die Branche 50.000 offene Stellen nicht besetzen.
Dinges: Und dieser Trend wird sich weiter verstärken. Daher müssen wir in die Qualifikation unserer Arbeitnehmer investieren.
Wie hoch ist die Summe, die die Personaldienstleister dafür jährlich ausgeben?
Dinges: Das können wir nur schätzen. Alle Unternehmen machten zuletzt 20 Milliarden Euro Umsatz. Nimmt man einmal zwei Prozent davon an, so wären das – bei aller gebotenen Vorsicht – rund 400 Millionen Euro im Jahr, die die gesamte Branche in Aus- und Weiterbildung investiert. Aber diese Zahl ist – wie gesagt – nicht valide, weil sie nicht systematisch ermittelt wird.
Dennoch ist es eine beeindruckende Summe für eine Branche, die zwei Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland stellt. Darüber hinaus bieten Sie mit Kundenunternehmen jungen Menschen Verbundausbildungen. Welchen Nutzen hat ein Zeitarbeitsunternehmen davon?
Dinges: Intern können wir ja nur kaufmännische Berufe ausbilden: Büro-, Kommunikations-, oder Personaldienstleistungskaufleute sowie vielleicht noch in der IT. In anderen Bereichen wie der Industrie beispielsweise haben wir natürlich dazu keine Möglichkeit. Wir sind hier auf die Verbundausbildung in Kooperation mit unseren Kunden angewiesen. Und unser Vorteil ist, dass wir in allen Branchen unterwegs sind und somit fast alle Ausbildungsberufe anbieten können.
Aber warum machen Sie das?
Dinges: Weil die Auszubildenden nach der Lehre beim Kunden verbleiben und dort weiter arbeiten können.
Noch einmal: Wo liegt denn da der Vorteil für das Zeitarbeitsunternehmen? Dieses hat die Ausbildung eines jungen Menschen finanziert, der ihm verloren geht, weil er vom Kunden übernommen wird.
Dinges: Wir wollen sagen: Wir bilden aus – und zwar nicht nur für den eigenen Zweck, sondern für den Markt. Und wir können die jungen Leute rekrutieren. Rekrutieren ist ja eine unserer Stärken. Zum zweiten trägt die Verbundausbildung, die wir bezahlen, zu einer guten Kundenbeziehung bei. Wir haben keinen direkten wirtschaftlichen Nutzen davon, sondern es ist eine Investition ins Image, in die Kundenbeziehung und nicht zuletzt in die jungen Leute.
Welche Rolle reklamiert der „Zukunftsvertrag Zeitarbeit“ in Sachen Weiterbildung für sich?
Dinges: Als Ausschuss des BAP haben wir den Anspruch, zukunftsorientiert zu denken, innovative Ideen zu entwickeln und neue Wege zu beschreiten. Insofern haben wir den Bereich Weiterbildung, Ausbildung, Qualifizierung sehr klar schon vor einiger Zeit als Schlüsselthema für die Branche erkannt.
Woher kommt der Zukunftsvertrag? Wo ist er verankert?
Dinges: Er wurde als eingetragener Verein 2001 gegründet. Damals haben wir uns im Untertitel als „Initiative der innovativen Sieben“ bezeichnet. Damit waren die damals sieben größten Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland gemeint.
In welcher Beziehung stehen Sie zum BAP?
Dinges: Zum 1. Januar 2011 haben wir den „Zukunftsvertrag Zeitarbeit“ in den BAP überführt. Mit gleicher Zielsetzung segeln wir jetzt als Ausschuss unter der Flagge des BAP – und zwar deswegen, um die Kräfte zu bündeln oder um – salopp gesagt – mehr kritische Masse auf die Straße zu bringen. Der BAP ist ein starker Verband, den wir mit unserem Beitritt weiter stärken wollten.
Zurück zum Inhaltlichen: In den älteren Arbeitnehmern ab 55 Jahren, die sich vielfach in Altersteilzeit oder im Vorruhestand befinden, sehen Sie ein Potenzial, um die Beschäftigungslücke zu schließen. Welcher Arbeitnehmer aber geht nach 35 bis 40 Jahren Arbeitszeit zum Ende seines Berufslebens in die Zeitarbeit?
Dinges: Gute Frage. Wir als große Zeitarbeitsunternehmen bieten unseren Kunden ja nicht nur reine Arbeitnehmerüberlassungen an. Es gibt auch andere Vertragsformen: Outsourcing, Interim-Management, Freelancing. Nehmen wir den ehemaligen Ingenieur von Siemens, der früh ins early retirement gegangen ist, dem zuhause langweilig wird und der doch wieder arbeiten möchte. Aber er will keine Vollzeitstelle, sondern nur in einem Projekt oder halbtags tätig sein. Er wird es nicht leicht haben, direkt auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen, weil sich viele Unternehmen schwer tun, ältere Arbeitnehmer einzustellen.
Und dieser Mensch geht dann wirklich zu einem Zeitarbeitsunternehmen?
Dinges: Ja, weil das Modell Zeitarbeit mit seiner Flexibilität in diesem Fall ein sehr gutes ist. Wir sind die Branche, die diesem Arbeitnehmer in einem breiten Spektrum ein interessantes Angebot machen kann. Wir können Projekte und begrenzte Arbeitszeiten anbieten oder ihm auch entgegenkommen, wenn er sagt: Ich will das nur für ein Jahr machen.
Müssen diese Menschen in der Regel noch weitergebildet werden oder verfügen sie bereits über genug Know-How?
Dinges: Das ist ambivalent. Sie verfügen einerseits über eine langjährige Lebens- sowie Berufserfahrung und damit über gute Fachkenntnisse in dem Spezialgebiet, auf dem sie viele Jahre gearbeitet haben. Wo wir helfen müssen, ist oft im Bereich IT. Gerade wenn Ältere schon vor längerer Zeit aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, sind hier Trainings nötig. Aber das lohnt sich, weil unsere Kunden die Abgeklärtheit schätzen, mit der diese Menschen an die Arbeit gehen.
Sind altersmäßig gemischte Teams also das Modell der Zukunft?
Dinges: Absolut. Die Zeiten, in den Menschen mit Anfang, Mitte Fünfzig aus dem Arbeitsprozess herausgenommen werden, müssen vorbei sein. Ihre Erfahrung ist wertvoll für den Arbeitsmarkt. Jüngere haben eine andere Herangehensweise, sind technisch oft versierter. Dafür fehlt ihnen eine gewisse Gelassenheit und Routine. Beide Generationen können also wunderbar voneinander profitieren.
Fassen wir mal zusammen: Viele Personaldienstleister bemühen sich um die Ausbildung junger Menschen und um die Integration Älterer. Hinzu kommen noch die Frauen. Sie helfen ihnen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Sie richten Betriebskitas ein und unterstützen sie bei der Kinderbetreuung. Warum hat die Zeitarbeit trotz dieses sozialen Engagements einen wenig guten Ruf?
Dinges: 2008 begann die sogenannte „Skandalisierungskampagne“, vor allem getragen durch die IG Metall. Sie wird hemmungslos und unter dem Einsatz großer finanzieller Mittel geführt. Hintergrund ist, dass die Gewerkschaft durch den zunehmenden Anteil der Zeitarbeit, gerade in der Metall- und Elektroindustrie, ihre Machtposition in Gefahr sieht. Wir haben auf diese Kampagne zunächst wie das Kaninchen auf die Schlange gestarrt und zu wenig reagiert. Andererseits ist es auch schwierig, mit guten Nachrichten Gehör zu finden. Es ist daher wichtig, dass die Branche mit geballter Kraft auftritt. Und das ist mit ein Grund, warum wir uns als Zukunftsvertrag Zeitarbeit dem BAP angeschlossen haben.
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Andreas Dinges ist Geschäftsführer (CEO) der Adecco Gruppe Deutschland und Österreich, die die Unternehmen Adecco Personaldienstleistungen GmbH, DIS AG, euro engineering AG und TUJA Zeitarbeit GmbH repräsentiert. Der 1959 in Wiesbaden geborene Vater zweier Söhne sitzt auch im Executive Committee der weltweiten Adecco Gruppe und im Vorstand des BAP. Er führt dessen Ausschuss „Zukunftsvertrag Zeitarbeit“.
Das ist der Zukunftsvertrag Zeitarbeit
Der Zukunftsvertrag Zeitarbeit vertritt die Marktführer der Branche in Deutschland. In ihm sind die sechs großen Personaldienstleister zusammengeschlossen: 7(S)-Gruppe, Adecco Gruppe Deutschland, I.K. Hofmann, Manpower Deutschland, persona service und Randstad Gruppe Deutschland.
Nachdem der Zukunftsvertrag Zeitarbeit seit seiner Gründung im Jahr 2001 als eingetragener Verein agierte, hat er sich mit Beginn des vorigen Jahres dem BAP angeschlossen. Man folgt damit der Zielsetzung, der Zeitarbeit eine einheitliche, geschlossene starke Stimme zu verleihen. Die Mitgliedsunternehmen streben durch ihre gemeinsame Arbeit die nachhaltige Stärkung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit an. Dazu soll innovativen und flexiblen Beschäftigungsformen im Rahmen eines breiten Beschäftigungsaufbaus der Weg geebnet werden.
Der Zukunftsvertrag Zeitarbeit ist im BAP als Ausschuss organisiert. Zum Ausschussvorsitzenden wurde Andreas Dinges (Adecco Gruppe Deutschland) gewählt, zu seiner Stellvertreterin Heide Franken (Randstad Gruppe Deutschland). Weitere Mitglieder sind Georg Breucker (persona service),Vera Calasan (Manpower Deutschland), Ingrid Hofmann (I.K. Hofmann) und Dr. Christian Speidel (7(S)-Gruppe).
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