
Kleines Wort, große Wirkung: Wie lange darf man Zeitarbeitnehmer zu ihrem Einsatz entsenden? Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) regelt seit dem 1. Dezember 2011, dass die Überlassung von Zeitarbeitnehmern an Kundenbetriebe "vorübergehend" erfolgt. Die Diskussion um die Bedeutung und Interpretation dieses zunächst unscheinbaren Begriffs zog sich wie ein roter Faden durch das erste BAP-Rechtssymposium am 25. April 2012: Darin stellten Fachanwälte, Richter und Ministerialbeamte ihre Sicht auf die AÜG-Änderungen und die möglichen Konsequenzen für die Zeitarbeitsbranche in der Praxis vor. Hundert Teilnehmer vor allem aus Kanzleien, Kundenunternehmen und Zeitarbeitsunternehmen kamen ins Hotel Meliá in Berlin, um über Auslegungen und Folgen der Änderungen des AÜG zu diskutieren, das seit dem 1. Dezember 2011 rechtskräftig ist.
Die Fachanwältin für Arbeitsrecht, Dr. Anja Mengel LL.M. (Partnerin der Sozietät Altenburg Fachanwälte für Arbeitsrecht in Berlin), näherte sich in ihrem Vortrag dem Begriff "vorübergehend" im sprachlichen und juristischen Sinne an. Darüber hinaus analysierte sie Übersetzungen der EU-Zeitarbeitsrichtlinie in anderen Ländern. Am Ende ihres Vortrags stand ihr Fazit, dass der Begriff "vorübergehend" zwar nicht bedeutungslos, ihm aber keine Rechtsfolgen zu entnehmen seien. Der europäische Gesetzgeber habe hier keinen Regelungsbedarf gesehen, und der deutsche Gesetzgeber habe mit Rücksicht auf das deutsche System der Zeitarbeit eine in Einklang mit der Richtlinie stehende Klarstellung vorgenommen.
Welche konkreten Auswirkungen der Begriff auf den Unternehmensalltag haben kann, erläuterte der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Steffen Tietze (Anwaltskanzlei Gruendel in Leipzig, siehe Foto). Er berichtete von den vier Verfahren, die er als Prozessbevollmächtigter für das Unternehmen BMW vor dem Arbeitsgericht Leipzig gewonnen hat. Hierbei ging es um die Frage, ob der BMW-Betriebsrat seine Zustimmung zum Einsatz von Zeitarbeit verweigern kann. So versuche der Betriebsrat – bislang jedoch ohne Erfolg - den Begriff "vorübergehend" als Hebel zu nutzen, um Zeitarbeit bei BMW zu verhindern. Noch ist keine endgültige Klärung in Sicht, weitere Verfahren seien anhängig. Tietze stellte als Fazit in den Raum, dass das letzte Wort hierzu der Europäische Gerichtshof haben dürfte.
Einen ganz anderen Blickwinkel auf die AÜG-Novelle stellte Dr. Manfred Schnitzler, Bereichsleiter Geldleistungen SGB III der Bundesagentur für Arbeit (BA), vor. Er beschäftigte sich in seinem Vortrag mit den praktischen Konsequenzen für die Zeitarbeitsunternehmen und ihre Kunden, die aus der Umsetzung der Zeitarbeitsrichtlinie durch die BA auf diese zukommen. So ging er auf die Strafen bei eventuellen Verstößen gegen neue Bestimmungen ein, wie den Zugang von Zeitarbeitnehmern zu Gemeinschaftseinrichtungen bei den Unternehmen und Hinweispflicht auf Stellenanzeigen durch die Zeitarbeitsfirmen. Dr. Schnitzler erklärte in diesem Zusammenhang, dass die Behörde kein Prüfrecht bei den Unternehmen habe, sondern auf die Mithilfe von Betroffenen angewiesen sei, um Verstöße aufzudecken.
Die Sicht des Gesetzgebers erklärte die Ministerialdirigentin Christiane Voß-Gundlach (Leitung Unterabteilung IIb, Aktive Arbeitsförderung, Bundesministerium für Arbeit und Soziales). In ihrem Vortrag zur Intention der Legislative bei der AÜG-Novelle ging auch sie auf die Auslegung des Begriffs "vorübergehend" ein. Voß-Gundlach unterstrich in diesem Zusammenhang den Punkt, dass der Gesetzgeber ausdrücklich auf eine Definition der Höchsteinsatzdauer verzichtet habe. Ausdrücklich betonte sie den Nutzen des arbeitsmarktpolitischen Instruments Zeitarbeit für Arbeitnehmer und Wirtschaft. Zudem verwies Voß-Gundlach auf den parlamentarischen Staatssekretär Ralf Brauksiepe aus ihrem Ministerium, der das Attribut "vorübergehend" konkretisiert hat: Die Bundesregierung legt ihn als "flexible Zeitkomponente" aus, "ohne eine genaue Höchstüberlassungsdauer zu definieren", wie Brauksiepe in einer Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage der Bundestagsfraktion "Die Linke" betont.
Die richterliche Sichtweise auf die AÜG-Änderungen vertrat Arbeitsrichter Esko Horn (Arbeitsgericht Hamburg). Er erklärte, dass eine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Bedeutung von "vorübergehend" noch aussteht. Vor diesem Hintergrund erläuterte Horn die Voraussetzungen eines Vorlageverfahrens zum Europäischen Gerichtshof. Im Unterschied zu den anderen Vortragenden betonte er darüber hinaus besonders den Punkt des Schutzes der Stammbelegschaft und der Dauerarbeitsplätze als wichtige Absicht des Gesetzgebers bei der AÜG-Novelle. Dieser Punkt sollte bei den konkreten Auslegungen von "vorübergehend" seiner Meinung nach mit bedacht werden, wenngleich er in letzter Konsequenz den Schutz der Stammbelegschaft nur im Rahmen einer Missbrauchskontrolle berücksichtigen würde.
Im Nachgang zum ersten BAP-Rechtssymposium wird demnächst ein Tagungsband veröffentlicht, der zusammen mit dem Haufe Verlag erstellt wird.
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