Personaldienstleister: Frau Schaller, die Betroffenheit von COVID-19 ist in den verschiedenen Ländern höchst unterschiedlich. Welche Rückmeldungen bekommen Sie über die Auswirkungen der Corona-Krise aus den 49 Ländern und den sechs global agierenden Unternehmen, die bei Ihnen organisiert sind?
Bettina Schaller, Präsidentin der World Employment Confederation-Europe (WEC-Europe): Ich gebe Ihnen recht damit, dass die Betroffenheit in den Ländern unterschiedlich ist, wobei dies insbesondere davon abhängt, wie stark die wirtschaftliche Bedeutung von den am meisten angeschlagenen Branchen ist. So spüren Länder mit einer großen Abhängigkeit von der Tourismus-Branche die Effekte der Krise weiterhin besonders stark, dazu gehören Frankreich, Spanien sowie Länder wie Thailand oder auch die USA. Im Durchschnitt spürte die Branche die Effekte massiv im April, mit einem Umsatzeinbruch von durchschnittlich 40%. In Frankreich, dem größten Markt der Branche weltweit, lag der Einbruch der Einsatzstunden bei 60%. Bei den sechs globalen WEC-Mitgliedsunternehmen sah das Bild sehr ähnlich aus, da alle in denselben Märkten aktiv sind, unabhängig davon ob der Hauptsitz in den USA, Japan, Italien, den Niederlanden oder der Schweiz ist.
Personaldienstleister: Die Corona-Pandemie hat auch die Bundesrepublik massiv getroffen. Wo stehen denn nach Ende des flächendeckenden Lockdowns die deutschen Personaldienstleister jetzt, Herr Lazay?
Sebastian Lazay, Präsident des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP): Unsere neueste Befragung unter unseren Mitgliedern zeigt eine leichte Aufwärtstendenz: Im April wurden uns noch durchschnittlich 49,5 Prozent Umsatzrückgänge gemeldet, im August waren es dann „nur noch“ 42,1 Prozent. Außerdem ist der Anteil der Personaldienstleister mit einem Umsatzrückgang von 80 Prozent und mehr deutlich zurückgegangen: Während im April noch 19,9 Prozent der befragten Mitgliedsunternehmen von derart drastischen Rückgängen betroffen waren, hat sich der Anteil jetzt um mehr als die Hälfte auf 8,1 Prozent verringert. Dass sich bei den befragten Unternehmen allerdings im August insgesamt durchschnittlich immer noch 27,2 Prozent der Mitarbeiter in Kurzarbeit befanden, zeigt, dass wir wirklich nur von verhaltenen Anzeichen einer Erholung in unserer Branche sprechen können.
Personaldienstleister: In Deutschland hat die Politik massive Stützungsmaßnahmen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt ergriffen. Wie sieht das, Frau Schaller, in anderen Ländern aus?
Schaller: Es ist tatsächlich so, dass diese Krise noch nie dagewesene Maßnahmen ausgelöst hat. Dabei galt übrigens das in Deutschland schon getestete Instrument der Kurzarbeit als eine der meistgenutzten Maßnahmen. In Europa haben Anfang Mai Arbeitgeber Kurzarbeitgelder für über 50 Millionen Arbeitende beantragt, davon 11 Mio in Frankreich, 10 Mio in Deutschland, 8 Mio in Italien, 6 Mio in Großbritannien und 4 Mio in Spanien. Die EU-Kommission hat auch spezifisch für dieses Instrument das SURE-Packet verabschiedet, welches bis dato fast 90 Mia Euro an 16 Mitgliedstaaten ausgeschüttet hat, um deren Kurzarbeitgelder zu subventionieren.
Wichtig für uns war, dass auch Zeitarbeiter Kurzarbeit in Anspruch nehmen können. Dies war in dieser Krise neu der Fall in Ländern wie Österreich, Belgien, der Tschechischen Republik, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Spanien, die Schweiz, Großbritannien – und Deutschland.
Personaldienstleister: Es ist klar, dass die Corona-Pandemie nicht vorbei sein wird, bis ein wirksamer Impfstoff oder Medikament in ausreichenden Dosen vorhanden ist. Gleichzeitig wäre es für die Wirtschaft desaströs, wenn jetzt nicht verstärkt die Arbeit wieder aufgenommen werden würde. Wie gehen Sie mit diesem „Spagat“ in Ihrem Unternehmen um, Herr Lazay?
Lazay: Wir nehmen den Gesundheitsschutz unserer Beschäftigten traditionell sehr ernst. Das liegt einerseits an den hohen Anforderungen unserer Kunden hinsichtlich gesundheitlicher Voraussetzungen, Unterweisungen in Arbeitsschutzvorschriften und der sicheren Umsetzung von Hygienekonzepten, andererseits ist es einfach Teil unserer Philosophie, gute Arbeitsbedingungen zu gewähren. Der Gesundheitsschutz gehört da einfach dazu. Zuletzt waren so zum Beispiel besondere Anforderungen älterer Beschäftigter eine echte Herausforderung. Für die nächsten Monate haben wir uns vorgenommen, für mehr Grippeschutzimpfungen zu werben. Bei alledem fahren wir aber auf Sicht. Schließlich kann sich die Pandemie-Lage jederzeit wieder ändern. Damit dann keine Probleme entstehen sind Instrumente wichtig, vor allem Kurzarbeit und eine ausreichende Liquidität. Auch hier haben wir vorgesorgt.
Personaldienstleister: Frau Schaller, in Deutschland gibt es eine Reihe von Institutionen wie die Berufsgenossenschaften, die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und das Bundesarbeitsministerium, die den Unternehmen Leitplanken für die Rückkehr zur Arbeit an die Hand geben. Inwieweit erhalten Unternehmen in anderen Ländern in dieser Richtung ebenfalls Unterstützung?
Schaller: Die Unterstützung, welche Unternehmen in Deutschland erfahren, gibt es in vergleichsbarer Weise nur in wenigen Ländern. Ein Kriterium ist dabei die Kultur des Sozialdialogs und der Konsultation. Dort, wo das Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Politik auf Konsens und nicht Konflikt ausgerichtet ist, konnte in dieser Krise schnell reagiert und konnten die Weichen zur Unterstützung von Unternehmen effektiver gelegt werden. Wir beobachten übrigens in einigen Ländern, dass die Behörden weiterhin am Anschlag sind, da sie selbst in Heimarbeit sind, zum Teil ohne gute Internetverbindungen, mit wenig Kontakt zu anderen Behörden und entsprechend wenig Resilienz haben, um aktive, geschweige denn innovative Lösungen anzubieten.
Übrigens sprechen wir weniger über eine Rückkehr zur Arbeit – da wo immer möglich gerade in den Krisenzeiten viel und lang gearbeitet wurde – sondern über eine Rückkehr zum Arbeitsplatz.
Personaldienstleister: Damit Unternehmen nicht selbst immer wieder das Rad neu erfinden müssen, um sichere Arbeitsbedingungen in der aktuellen Situation zu gewährleisten, gibt es jetzt die weltweite Initiative von WEC „Sicher arbeiten in der neuen Normalität“ – „Safely back to work in the new normal“. Was können Sie uns zu dieser Initiative sagen, Herr Lazay, Frau Schaller?
Lazay: Personaldienstleister setzen sich weltweit seit Jahrzehnten mit der passgenauen Besetzung von Arbeitsplätzen in Kundenunternehmen auseinander. Vielen fallen dabei zunächst Qualifikationsanforderungen ein – die Kenntnis einer Maschine, eines Prozesses, einer Software oder auch erforderliche Softskills. Doch auch der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist stets integraler Bestandteil unserer Auftragsbearbeitung. Als Personaldienstleister im BAP sind wir in der glücklichen Lage, weltweit unsere Erfahrungen vernetzen zu können. Deshalb unterstützen wir gerne die Initiative des WEC.
Schaller: Diese Initiative setzt ein starkes Zeichen der Branche. Mittlerweile ist sie in 25 Ländern verbreitet, im Moment schauen einige Länder in Südamerika, z.B. Argentinien, auf deren Umsetzung. Als Branche stehen für uns Gesundheits- und Arbeitsschutz am Arbeitsplatz an erster Priorität. Und es war uns schnell klar, dass eine Rückkehr zum Arbeitsplatz nur über eine Sicherung dieser Maßnahmen erfolgen kann. So konnten wir in Ländern wie Polen, Italien und Großbritannien Teil der Kommissionen sein, welche entsprechende neue COVID-19-Leitlinien entwickelt haben, über die Branche hinweg.
Personaldienstleister: Herr Lazay, was prädestiniert ausgerechnet die Personaldienstleister für diese Initiative?
Lazay: Aus der täglichen Zusammenarbeit mit unseren Kunden ergibt sich ein breiter Erfahrungsschatz. Wir sehen, welche Skills aktuell gefragt sind, aber eben auch, mit welchen Maßnahmen der Weg zurück in die neue Normalität am Arbeitsplatz gelingt. Wir möchten betriebsübergreifend Impulse geben und von einander lernen.
Personaldienstleister: Wie ist die Resonanz auf Ihre Initiative, Frau Schaller, in Wirtschaft und Politik?
Schaller: Interessanterweise war die Resonanz besonders hoch von Seiten Internationaler Gewerkschaften, da der Schutz der Arbeitnehmenden im Vordergrund steht. Bei Unternehmen geht es um die Umsetzung und die Kosten. Und die Politik hat das Feld weitgehend der Wirtschaft überlassen, deshalb sehen wir auch so viele verschiedene Programme. Da setzt die Initiative an, indem sie erprobte Maßnahmen zu Tage bringt. So ist eine der Aufgaben der Taskforce, welche bei WEC für sechs Monate der Initiative zugeteilt wurde, die gewonnenen Erkenntnisse zusammenzutragen, damit wir diese bei einer nächsten Welle oder Krise, anwenden können. Nur: das ist eines der wenigen Male, wo ich darauf hoffe, dass unsere Expertise nicht in Anspruch genommen werden muss.
Das Interview wurde zunächst in Ausgabe 2/2020 des Branchenmagazins "Personaldienstleister“ abgedruckt. Sowohl die aktuelle als auch ältere Ausgaben des Magazins können Sie kostenfrei im Onlineshop der BAP-Akademie bestellen oder digital herunterladen.
Die globale Initiative der Personaldienstleister zum sicheren Arbeiten in der neuen Normalität und die Rolle der Personaldienstleister beim Weg zum wirtschaftlichen Aufschwung standen auch kürzlich im Fokus einer Web-Konferenz von BAP und World Employment Confederation-Europe (WEC-Europe).
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Warum sollte die Höchstüberlassungsdauer in Zeiten von Corona abgeschafft werden? Antwort Sebastian Lazay:
Auf der WEC-/BAP-Konferenz am 27.10.2020
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