„Romantische Rückwärtsillusion“ - lebenslang nur ein Arbeitsplatz

5. November 2013, Löwenbräukeller in München: Gäste aus Wirtschaft und Gesellschaft sprechen auf dem Podium über Zukunftstrends und Zeitarbeit (v.l.n.r.): Johann Horn, Michael Rieder, Sigmund Gottlieb, Volker Enkerts, Paul Ghidu, Matthias Horx. Fotos: Sabine Kückelmann

Der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx präsentierte am 5. November im Münchner Löwenbräukeller seine Vision der Arbeitswelt von Morgen. Im Anschluss diskutierten Gäste, Unternehmer und Zeitarbeitnehmer unter der Moderation von Sigmund Gottlieb, dem Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens, darüber, welche Bedeutung die Personaldienstleistungsbranche für sie persönlich, für den Standort und für Deutschland hat. Gastgeber war der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP).

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren: BAP-Präsident Volker Enkerts, Johann Horn, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ingolstadt und Schwabach, Michael Rieder vom Arbeitgeberservice für Personaldienstleister der Agentur für Arbeit München und der Industriemechaniker bei Augusta Personaldienstleistungen GmbH, Paul Ghidu, als Vertreter der Zeitarbeitnehmer. Den unterhaltsamen und diskussionsintensiven Abend im Rahmen der BAP-Veranstaltungsreihe mit Matthias Horx eröffnete Wolfgang Braunmüller, Geschäftsführer von Augusta Personaldienstleistungen GmbH, Vorstandsmit-glied des BAP und Regionalsprecher Süd.

Horx stellte erst einmal selbst die Frage in den Raum, ob sich die Zukunft voraussagen ließe. Insofern ja, als dass Forscher verlässliche Trends ausmachen können, eben langfristige Prozesse, die sich überall auf der Welt mit unterschiedlicher Intensität in eine bestimmte Richtung entwickeln: die so genannten Megatrends. Sie vollziehen sich fließend, ungeordnet, manchmal nacheinander und oft auch parallel, so Horx. Eines stünde fest: Diese wirken nachhaltig, greifen tief in die Struktur unserer Gesellschaft ein und sie seien keinesfalls umkehrbar.

Ein Megatrend in der auf uns alle einströmenden wachsenden Komplexität unserer Welt sei die „Konnektivität“: Menschen würden immer mobiler, ein Prinzip, das für Arbeit und auch menschliche Beziehungen gelte. Präsenz an einem Ort sei nicht mehr unbedingt nötig. Und der Megatrend „Individualität“: Das Leben würde in Zukunft immer weniger als ein einziger gerader Weg angesehen werden, den es „richtig“ zu beschreiten gilt. Individualität, Möglichkeiten diesen Weg zu beschreiten, würden zunehmen und damit auch das geforderte Treffen von Entscheidungen eines jeden Individuums.

Massiven Einfluss auf die Arbeitswelt von Morgen hätten auch die Megatrends „Frauen“ und „Downaging“: Frauen, so Horx, werden zukünftig mehr und mehr in den Führungsetagen der Unternehmen Präsens zeigen und auch die Arbeitskultur verändern. Sie seien jedoch weniger bereit als Männer am Wochenende für ihre Karriere ins Büro zu gehen. Dänemark habe da jedoch bereits eine Zeitkultur entwickelt, die es auch für Führungskräfte möglich mache, täglich – spätestens 17 Uhr – das Büro zu verlassen. Noch seien in Deutschland die Männer mit 59,6 Prozent die Besserverdiener im Haushalt. Der Trend gehe jedoch dahin, dass Frauen und Männer gleich viel verdienen. Oder, wie in den USA, dort würden bereits mehr Frauen besser als ihre männlichen Partner verdienen. 1910 hätten gerade einmal 3 Prozent der Frauen eine höhere Bildung in Deutschland vorzuweisen. Heute seien es bereits mehr als 50 Prozent. Frauen würden nach Horx gut 72 Prozent über die Ausgabe des Haushaltseinkommens einer Familie entscheiden. Dies gelte selbstverständlich auch für Autokäufe.

„Downaging“  meine die Tatsache, dass wir nicht nur länger leben, sondern auch länger fit und gesund bleiben würden – dadurch ändern sich auch Arbeitszeiten, -formen und -gewohnheiten. Die jeweilige Lebensphase mit der spezifischen Frage „welche Arbeit passt gerade zu mir?“ rücke laut Horx zukünftig mehr in den Fokus. Die vorherrschende Meinung, dass man früher nur einen Arbeitsplatz hatte und kaum Mobilität vorhanden war, nannte Horx eine „romantische Rückwärtsillusion“. Die Generation Praktikum sei eine Erfindung der Medien, an die alle glauben. Es gebe eben unterschiedliche Arbeitnehmertypen. Zeitarbeit könne dabei für manche wie ein Katalysator wirken, der dazu beitragen kann, einen passenden Job zu finden. „Für mich war und ist ein Angestelltendasein grundsätzlich nicht vorstellbar“, so Horx.

Arbeitsverträge werden an die jeweilige Lebenslage des Mitarbeiters angepasst – „Flexicurity“ nannte Horx dieses System, das Sicherheit und Flexibilität parallel möglich mache. In Skandinavien habe man diesen Begriff jedoch bereits zur Blüte gebracht. Man sei in Deutschland noch nicht so weit. „Zu industriell“ sei unser Denken noch, so Horx, zu sehr fixiert auf Ausbildung, Abschluss und Sicherheit. Dabei habe man heutzutage im Durchschnitt drei bis vier Arbeitgeber in seiner Berufskarriere, lediglich 14 Prozent aller Erwerbstätigen hätten aktuell noch nie ihren Arbeitgeber gewechselt.

Volker Enkerts unterstrich die Bedeutung der Zeitarbeit für die Zukunft. Die deutsche Wirtschaft braucht die Branche als Flexibilitätsinstrument, um zeitnah, zum Beispiel auf Auftragsschwankungen, volatile Märkte und Konjunkturzyklen reagieren zu können. Johann Horn monierte die ungleiche Bezahlung der Zeitarbeitnehmer im Vergleich zur Stammbelegschaft. Darauf sagte der BAP-Präsident: „Auch in denselben Unternehmen werden in der Praxis für die gleiche Arbeit unterschiedliche Löhne bezahlt.“ Horn forderte grundsätzlich, dass die Unternehmen die Menschen in Zukunft nachhaltig an sich binden sollten. Auf die Frage von Sigmund Gottlieb, wie er den Einstieg in die Zeitarbeit fand, sagte Paul Ghidu: Zunächst habe er eine Lehre als Koch begonnen, diese jedoch abgebrochen und darauf eine zweite Ausbildung als Industriemechaniker begonnen und abgeschlossen. Um mit 24 Jahren erstmals Berufserfahrung zu sammeln, ging er in die Zeitarbeit. Heute baue er Maschinen zusammen und finde diese Tätigkeit sehr interessant. Michael Rieder berichtete aus der Praxis, dass der bayerische Arbeitsmarkt heterogener als angenommen sei. Es gebe natürlich regionale Unterschiede, insbesondere wie bei dem Münchner Ballungsraum im Gegensatz zum Nordrand Bayerns. Ebenso seien auch die Lebensläufe der Zeitarbeitnehmer heterogen. Rieder betonte, wie Enkerts, dass er es für richtig hält, dass die differenzierte Lohnfindung durch die Tarifpartner geregelt werden sollte. Matthias Horx sagte, man brauche in Zukunft unterschiedliche Charaktere in einem Unternehmen, um den komplexen, globalen Anforderungen gewachsen zu sein. Insofern würden sich die Strukturen von Unternehmen wandeln müssen, betonte der Zukunftsforscher.

Die Veranstaltung in München bildete den Abschluss der Reihe mit Matthias Horx im Rahmen der Branchenkampagne „Die Zeitarbeit: Einstieg. Aufstieg. Wachstum.“ Zuvor hatte der Zukunftsforscher seine Thesen der (Arbeits-)Welt von morgen bereits in Stuttgart, Berlin, Frankfurt/Main, Hamburg, Köln, Dresden und Nürnberg präsentiert. 127 Mitgliedsunternehmen des BAP unterstützen die Branchenkampagne „Die Zeitarbeit: Einstieg. Aufstieg. Wachstum.“, zu der der Abend mit dem Zukunftsforscher in Münchner Löwenbräukeller gehörte.

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