
Ruiniert gleicher Lohn für gleiche Arbeit die Zeitarbeitsbranche? In einer sehr lebendigen Diskussion stritten die Politiker am Montag über Details, zeigten sich aber einig im Grundsätzlichen. Die Podiumsdiskussion des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP) mit den Arbeitsmarkt-Experten der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und den Grünen war letztlich von großer Sachkenntnis geprägt. Trotz Kontroverse um Equal Pay blieb eines in den Räumlichkeiten des Bundestages unbestritten: Die herausragende Rolle der Zeitarbeit als Jobmotor und Flexibilisierungselement für die deutsche Wirtschaft. Arbeitnehmerüberlassung, so die vorherrschende Meinung, sei deutlich besser als ihr Ruf.
Auf Einladung des BAP diskutierten die Politiker auf dem "Treffpunkt Zukunftsvertrag Zeitarbeit" mit Verbands-Vizepräsident Sebastian Lazay über die Chancen und Risiken der Branche. Der Chef der Adecco Group Deutschland und Vorsitzender des BAP-Ausschusses Zukunftsvertrag Zeitarbeit, Andreas Dinges, würdigte dabei eingangs die Rolle der Zeitarbeit während der Krise 2008 und danach. Erst die Zeitarbeitsunternehmen haben die rasche Erholung ermöglicht.
"Die schneller werdenden Konjunkturzyklen von Auf- und Abschwung in den vergangenen Jahren zeigen: Die deutsche Wirtschaft braucht Flexibilität", stellte der 52-Jährige fest. Die Branche habe in den vergangenen Jahren 300.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen. Auch mit einem Vorurteil räumte Dinges auf: "Studien zeigen: Unternehmen, die Zeitarbeit nutzen, bauen ihre Stammbelegschaften aus."
Zeitarbeit ist "ganz normales Arbeitsverhältnis"
Dem widersprach in den folgenden 90 Minuten niemand. "Zeitarbeit ist kein Beschäftigungsverhältnis zweiter Klasse", unterstrich die CDU-Arbeitsmarktexpertin Gitta Connemann und stellte fest, dass dies fälschlicher Weise nur in der öffentlichen Wahrnehmung so gesehen werde. Viele wüssten nicht, worüber sie redeten, wenn sie über Zeitarbeit diskutierten: "Nämlich über ganz normale Arbeitsverhältnisse." Der einzige Unterschied seien die wechselnden Einsatzorte. Daher müsse das Thema endlich "entideologisiert" werden.
Auch SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil warb im gediegenen Kaisersaal der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft vor den rund 80 Zuhörern – neben Zeitarbeitsunternehmern auch hochrangige Ministerialbeamte und Parlamentarier – dafür, die Diskussion zu versachlichen: "Differenzierung ist wichtig. Es gibt kein Schwarz und kein Weiß." Arbeitnehmerüberlassung sei ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument, "das ich für richtig halte". Es sollte jedoch, schränkte der 38-Jährige ein, hauptsächlich bei Auftragsspitzen eingesetzt und der Missbrauch in Form von Drücken des Lohnniveaus bekämpft werden.
"Phänomen der gespaltenen Zunge"
In diesem Zusammenhang kritisierte die CDU-Abgeordnete Connemann die Arbeiterwohlfahrt Essen (AWO) scharf. Die Organisation spreche sich ebenfalls für die Begrenzung der Zeitarbeit auf Auftragsspitzen aus. Allerdings habe die AWO selbst ein Zeitarbeitsunternehmen gegründet, das ausschließlich Arbeitskräfte an die AWO vermittle. Dies sei eine unzulässige Ausnutzung der Konstruktion, ein "Phänomen der gespaltenen Zunge" und – so die für das Arbeitsrecht zuständige Berichterstatterin der CDU-CSU-Fraktion – "verlogen bis zum Geht-nicht-Mehr". Als weiteres Beispiel für diese Art von Umgang mit der Zeitarbeit nannte Connemann die Tageszeitung Frankfurter Rundschau.
Als Unternehmer der Metallindustrie setzt der stellvertretende FDP-Fraktionschef Heinrich Kolb, wenn Flexibilität nötig sei, lieber auf die Kooperation mit Sub-Unternehmern. Dennoch bescheinigte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der FDP-Bundestagsfraktion, der im Sommer 2010 die Diskussion um Equal Pay losgetreten hatte, der Zeitarbeit eine "große Integrationsleistung". Unzähligen Langzeitarbeitslosen habe sie den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht.
"Flexibilität muss bezahlt werden"
Dass Zeitarbeit ein wichtiges Instrument zur Flexibilisierung sei, bestätigte auch die Grünen-Parlamentarierin Beate Müller-Gemmeke. Dieses Mittel müsse aber auch seinen Preis haben – eben Equal Pay: "Dann ist der Zeitarbeitnehmer manchmal eben teurer als ein Mitglied der Stammbelegschaft." Darin sah BAP-Vize Sebastian Lazay eine Gefährdung des Geschäftsmodells und Jobmotors Zeitarbeit. Er berichtete davon, wie er kürzlich einen seiner Arbeitnehmer nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit in den Ruhestand verabschiedet habe – "mit Betriebsrente". Die Zeitarbeit sei eben nicht so kurzlebig wie oft getan werde. Equal Pay aber könne die erfolgreiche Branche aus der Bahn werfen. Die Zeitarbeitsfirmen seien Dauer-Arbeitgeber. Ihre Angestellten hätten teilweise 30 bis 40 verschiedene Einsatzorte. "Equal Pay klingt so schön, aber bei ständig wechselnden Kunden heißt das stetige Ungleichbehandlung." Jeder Einsatz bedeute für den Mitarbeiter andere Entgeltstrukturen. Das mache klar, Equal Pay sei ein "Gerechtigkeitsanspruch, der eben nicht gerecht ist".
"Lohndifferenzierung ist logisch"
Heinrich Kolb unterstützte den Arbeitgeber in dieser Frage und wies daraufhin, dass das Zeitarbeitsunternehmen "in der verleihfreien Zeit den Lohn fortzahlen und einen organisatorischen Overhead" finanzieren müsse. Das alles koste Geld und "muss wieder eingespielt werden". Daher sei hier eine Lohndifferenzierung logisch. "Wer weiß schon", ergänzte Gitta Connemann, "dass die Zeitarbeit auch ausbildet?" Dies müsse finanzierbar bleiben. Sie plädiert daher für Equal Pay erst nach einem Jahr. Kolb sieht neun Monate als geeignete Frist, während sich Hubertus Heil auf zwei Monate festlegte und Beate Müller-Gemmeke schon ab dem ersten Tag "gleichen Lohn für gleiche Arbeit" forderte.
Ungleiches ungleich bezahlen
Gitta Connemann stimmte zunächst scheinbar ihrer grünen Kollegin zu: Gleiches müsse natürlich gleich behandelt werden, sagte sie, aber Ungleiches eben auch ungleich. "Und ein Angestellter der Stammbelegschaft, der 20 Jahre im Betrieb arbeitet, kann einem Zeitarbeiter eben nicht gleichgestellt werden, wenn dieser erst drei Wochen dabei ist", betonte Connemann. Dieser verfüge nicht über dieselbe Erfahrung und arbeite auch nicht ebenso effektiv und produktiv. Der Unterschied müsse sich auch im Lohn ausdrücken.
Heils Vorschlag: Der Referenz-Lohn
Es sei technisch relativ schwierig, Equal Pay überhaupt konkret zu definieren, meinte Hubertus Heil. Er schlug daher einen so genannten Referenz-Lohn vor, aus dem Weihnachtsgelder herausgerechnet, andere Zulagen aber eingerechnet werden sollten. Um das Problem der Lohnhöhe zu umschiffen, erwog Müller-Gemmeke, Zeitarbeiternehmer womöglich wie Angestellte in der Probezeit zu bezahlen. Connemann dagegen prophezeite, dass viele Arbeitsplätze verloren gingen, wenn Zeitarbeit unattraktiv gemacht werde, "weil Unternehmen dann in die Mehrarbeit gehen werden, um flexibel zu bleiben". Zeitarbeitgeber Sebastian Lazay ergänzte: "Was nützt es, wenn gleich bezahlt wird, die Branche aber tot ist und dann Hunderttausende ihren Job verlieren?"
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