
Die Parallele zum Krisenherd der Eurozone hatte es in sich. Zukunftsforscher Matthias Horx zog sie an diesem Abend: „Wenn die Gewerkschaften all das tun, was sie wollen, dann wäre das Ergebnis Griechenland.“ Dort habe es über Jahre „nach oben abgesicherte Arbeit“ gegeben. Das Statement des 57-Jährigen riss die 150 Zuhörer in den Räumen der IHK Nürnberg am Abend des 26. Juli 2012 zu Beifallsstürmen hin.
Robert Günthner, der die Abteilung Politische Planung, Arbeitsmarktpolitik und Qualifizierung beim DGB Bayern leitet, blieb das Lachen dagegen im Hals stecken. Er erwiderte, Horx habe unter seinem eigenem intellektuellen Niveau argumentiert.
Doch der sehr moderat auftretende Günthner musste sich im Rahmen der Podiumsdiskussion des BAP und der Kampagne „Die Zeitarbeit: Einstieg. Aufstieg. Wachstum.“ nicht nur dem renommierten Zukunftsforscher erwehren. Bei der Auftaktveranstaltung zu sechs ähnlichen Terminen wurde er gleich von zwei Seiten in die Zange genommen. Mit der Zeitarbeitnehmerin Patrizia Padovani lieferte er sich ebenfalls einen Schlagabtausch. Der rhetorisch geschickte Gewerkschaftsvertreter versuchte, die Flexibilität am Arbeitsmarkt auf die „technische Entwicklung“ zu reduzieren. So habe er sich selbst ein Babypause von einem Dreivierteljahr gegönnt, und inzwischen führe er seine Geschäfte auch von seinem „Home-Office“ in den eigenen vier Wänden. Dabei erntete er Zustimmung aus dem Publikum. Vieles an der übrigen Flexibilität münde jedoch nicht selten in prekäre Beschäftigungsverhältnisse.
Trocken entgegnete Patrizia Padovani, die über die Zeitarbeitsfirma Heiserv GmbH eine Schwangerschaftsvertretung in einem Unternehmen übernommen hat: „Wenn ich festangestellt wäre, würde ich weniger verdienen als jetzt in der Zeitarbeit.“
Nun entspann sich ein denkwürdiger Dialog, in dem nun wieder Günthner das Wort hatte: „Es geht doch meist gar nicht um Flexibilität, sondern darum, einen zweiten prekären Lohnsektor zuzulassen.“
Frau Padovani konterte: „In der Zeitarbeit bin ich genauso sozial abgesichert wie in jedem anderen Unternehmen.“
Daraufhin fragte der DGB-Funktionär nach: „Zu den selben Konditionen?“
Patrizia Padovani antwortete: „Ich verstehe das nicht. Wenn ich mit dem Lohn nicht einverstanden wäre, hätte ich den Arbeitsvertrag nicht unterschrieben. Das kann doch jeder für sich selbst auswählen.“
Günthner: „Die Wahl hat aber nicht jeder. Die meisten haben die Wahl zwischen Zeitarbeit und Arbeitslosigkeit.“
„Und was ist dann besser?“ fragte die Zeitarbeitnehmerin schlagfertig und unter dem Applaus des Publikums zurück.
Elsa Koller-Knedlik, die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Nürnberg, bestätigte anschließend, dass viele Zeitarbeitsunternehmen über Tarif bezahlten: „Anders bekommen sie gar keine Mitarbeiter mehr.“ Es bestünde ein erheblicher Personalmangel. Darüber hinaus gebe es in der Zeitarbeit gute Weiterbildungsmöglichkeiten. Sie sei erstaunt, wie viele Unternehmen in die Qualifizierung ihrer Angestellten investierten. Andererseits habe sie auch die Kooperation mit wenigen schwarzen Schafen der Branche abgelehnt, weil dort „sittenwidrige Konditionen“ für die Arbeitnehmer herrschten.
Zeitarbeitsunternehmerin Christine Bruchmann bekräftige, ein Arbeitnehmer müsse von dem leben können, was er verdiene. „Ich bin massiv gegen die Aufstockungen mit staatlichen Leistungen. Das ist für die Betroffenen unwürdig“, ergänzte die geschäftsführende Gesellschafterin der Fürst-Gruppe. Sie bedauerte, dass die Zeitarbeit von den Gewerkschaften herausgesucht werde „als Branche, auf die man draufhauen kann“. Dabei kämen 65 Prozent der Zeitarbeitnehmer direkt aus der Arbeitslosigkeit, und die Übernahmequote liege inzwischen bei 30 Prozent. „Ich wünsche mir einen konstruktiven Dialog mit den Arbeitnehmervertretern, nicht immer nur Polemik“, ergänzte Christine Bruchmann, die auch IHK-Vizepräsidentin in der Region Nürnberg/Mittelfranken ist.
Das „Bedürfnis nach Flexibilität“ am Arbeitsmarkt sei insbesondere bei jungen Angestellten ausgeprägt, bilanzierte Peter Oberst. Der Prokurist der RIBE Richard Bergner Verbindungstechnik GmbH & Co. KG leitet in dem Unternehmen das Personalwesen. Bei anderen Mitarbeitern sei der Wunsch nach materieller Sicherheit dagegen stärker ausgeprägt. Insgesamt mache er sehr gute Erfahrungen mit Zeitarbeitnehmern. Er appellierte, „nicht immer nur Negativbeispiele herauszupicken“. In den allermeisten Fälle laufe es hervorragend. Und darüber solle mehr geredet werden.
Moderator Martin Wagner, Leiter des Studios Franken beim Bayerischen Rundfunk, befand, dies sei ein hervorragendes Schlusswort. Er entließ die Diskutanten und das Publikum zu einem „Get together“ im Erdgeschoss des IHK-Gebäudes. Bei Getränken und Fingerfood diskutierten die Gäste des BAP noch lange und lebhaft weiter.
Statements von den Diskussionsteilnehmern finden Sie hier.
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