"Im Jahresdurchschnitt 2021 haben fast 350.000 qualifizierte Arbeitskräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt gefehlt. Noch 2010 waren es gerade einmal 60.000. Diese Zahlen machen klar: Der Fachkräftemangel hat in den vergangenen Jahren eine völlig neue Dimension angenommen!". Klartext von Sibylle Stippler, Senior Economist im Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) am Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln), in der neuen Folge des Podcast "reingehoert" mit Gastgeber BAP-Präsident Sebastian Lazay. Für diese hat er sich die Expertin für eines der entscheidenden Dauerbrenner-Themen für HR-Verantwortliche und Arbeitgeber zum Erfahrungs- und Ideenaustausch eingeladen: Die Fachkräftesicherung für kleine und mittelständische Unternehmen.
Mangel an qualifizierten Fachkräften wird sich weiter verschärfen
Deutschland sei zwar von einem flächendeckenden Personalengpass derzeit noch entfernt, da es für Helfertätigkeiten genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebe. Doch herrsche mittlerweile in nahezu allen Branchen ein akuter Mangel an Menschen mit einer qualifizierten Berufsausbildung. Besonders kritisch sei die Situation in der Metall- und Elektronindustrie, dem Bauwesen und Handwerk, der Pflege und der IT. "Hier passen die Unternehmen mittlerweile ihre Auftragslage immer häufiger an die Personalsituation an und nicht umgekehrt. Solch eine Situation hatten wir noch nie in der bundesdeutschen Geschichte", so Sybille Stippler. Und die Lage werde sich weiter verschärfen, da nun die Generation der "Babyboomer" zunehmend in Rente ginge. Folge: Bis 2040 würden dem Arbeitsmarkt mehr als vier Millionen Fachkräfte weniger als derzeit zur Verfügung stehen. "Der Bedarf an Beschäftigten mit qualifizierter Berufsausbildung wird noch über viele Jahre hinweg größer sein als der 'Nachschub', der in den Startlöchern steht," prognostiziert die Expertin.
KMU kommen häufig nur durch die Zeitarbeit an qualifizierte Fachkräfte
Besonders schwierig gestalte sich die Suche nach Fachkräften für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), da sie auf dem Arbeitsmarkt oftmals kaum sichtbar seien. Stippler machte deutlich: "Für sie ist es daher eine große Chance, über die Zeitarbeit an qualifiziertes Personal zu kommen. So können der Beschäftigte und das Unternehmen gegenseitig feststellen, ob es passt." Problematisch seien in zahlreichen KMU alte Denkstrukturen bei der Personalsuche: "Vielen ist immer noch nicht bewusst, dass wir einen Arbeitnehmermarkt haben und sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt um 180 Grad gedreht hat. Die Arbeitgeber müssen daher ihr eigenes Mindset und die eigenen Arbeitsbedingungen bei der Bewerbersuche auf den Prüfstand stellen und abwägen, ob es noch dem entspricht, was potenzielle Beschäftigte heutzutage erwarten."
Qualifizierte internationale Zuwanderung zwingend notwendig
Eine große Chance im Kampf gegen den Fachkräftemangel würden qualifizierte internationale Zuwanderer bieten, betonte Stippler. Die Erfahrung zeige: "Wenn Unternehmen bereits Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigen, steigen die Chancen, dass sie sich diesem internationalen Fachkräftepotenzial dauerhaft öffnen." Fest stehe, dass "wir als Deutschland bei der Fachkräftezuwanderung alle Möglichkeiten nutzen müssen, die sich uns bieten. Denn wir brauchen diese Menschen hier bei uns!" Daher, bekräftigte Sebastian Lazay die Position seines Gesprächsgastes, sei es umso unverständlicher, dass es ausgerechnet der Zeitarbeit als einziger Branche überhaupt in Deutschland weiterhin gesetzlich untersagt sei, Fachkräfte mit Berufsausbildung außerhalb der EU zu rekrutieren und einzusetzen. "Ausgerechnet denen, die sich mit Integration bestens auskennen, bleibt es versagt. Aber ich habe die Hoffnung, das sich hier bald etwas tut."
Sicherheit des Arbeitsplatzes zentraler Faktor für Arbeitgeberattraktivität
Mit Blick auf die in Zeiten des Fachkräftemangels immer wichtiger werdende Arbeitgeberattraktivität machte die KOFA-Expertin deutlich: "An erster Stelle steht dabei für die Beschäftigten die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Dieses Kriterium hat durch die Corona-Pandemie und ihre Folgen nochmals an Bedeutung gewonnen." Weitere entscheidende Faktoren seien Flexibilität in Bezug auf die Arbeitszeiten und den Arbeitsort sowie die Arbeitsatmosphäre vor allem mit der direkten Führungskraft. Immer relevanter würde zudem die sichtbare Vielfalt. Hier sei es erforderlich, dass "echte Wertschätzung für Unterschiedlichkeit nicht nur im Unternehmensleitbild steht, sondern tatsächlich in den Firmen gelebt wird." Zudem kämen aktuell mit der Nachhaltigkeit und ökologischen Aspekten neue Themen auf, die vor allem für die Generation Z von Bedeutung bei der Arbeitsplatzwahl seien.
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