Besser bezahlt als die Stammbelegschaft: Dresdner BAP-Podiumsdiskussion zeigt auch beim DGB Einsicht in den Sinn von Zeitarbeit

Die Überraschung stand vielen der 160 Zuhörer ins Gesicht geschrieben. Denn der stellvertretende DGB-Vorsitzende des Bezirkes Sachsen, Markus Schlimbach, sagte einen bemerkenswerten Satz: „Schon jetzt gibt es Zeitarbeitsunternehmen, die ihre Mitarbeiter besser bezahlen, als andere Firmen ihre Stammbelegschaft.“ Die Podiumsdiskussion bei der regionalen Veranstaltungsreihe der BAP-Kampagne „Die Zeitarbeit: Einstieg. Aufstieg. Wachstum.“ in Dresden drehte sich am Donnerstag, 30. August zu diesem Zeitpunkt um Branchenzuschläge und deren Auswirkung auf die Bezahlung der Zeitarbeitnehmer.

Die Erkenntnis des Gewerkschafters im Lingner-Saal des städtischen IHK-Bildungszentrums war nicht ob ihres Inhaltes erstaunlich, denn was Schlimbach sagte, entspricht den Tatsachen. Es überraschte viele, sie aus dem Mund eines DGB-Funktionärs zu hören. Und so reagierte Moderator Michael Wehran auch geistesgegenwärtig: „Könnten Sie bitte dafür sorgen, dass dieser Sachverhalt ins Schwarzbuch der IG Metall aufgenommen wird?“ Das Publikum reagierte mit fröhlichem Beifall auf die rhetorische Frage des BAP-Pressesprechers.

Zukunftsforscher Matthias Horx hatte Schlimbach zu der unerwarteten Aussage verleitet, als er unmittelbar davor gesagt hatte: „Schön wäre es, wenn Zeitarbeitnehmer künftig das Angebot zur Übernahme durch das Kundenunternehmen ablehnten und beim Personaldienstleister bleiben.“ Dass dies „natürlich“ auch eine Frage der Bezahlung sei, schob er hinterher.

Der Präsident der IHK Dresden, Dr. Günter Bruntsch, stimmte Horx und Schlimbach zu, als er aus seiner langjährigen Erfahrung als Chef eines Anlagenbauers berichtete: „Genau so etwas hat es in meinem Unternehmen gegeben. Die entsendeten Mitarbeiter wollten flexibel bleiben und entschieden sich daher trotz unserer Offerten für die Zeitarbeit.“

Der ebenfalls an der Podiumsdiskussion teilnehmende Zeitarbeitnehmer Jan Eichel von „Uwe Schickor Personaldienstleistungen“ relativierte für sich daraufhin das Risiko, von seinem Arbeitgeber bei schlechter Geschäftslage entlassen zu werden: „Das kann mir doch bei einem mittelständischen Unternehmen ebenfalls passieren. Wenn da drei Monate keine Aufträge mehr hereinkommen, wird es mich auch kündigen.“ Und er betonte, dass er nicht weniger verdiene als die vergleichbaren Kollegen der Stammbelegschaft. Eichel arbeitet in der sächsischen Chip-Industrie.

Die Runde war sich schnell einig, dass die Zeitarbeit im Freistaat Sachsen viele Vorteile gebracht habe. Winfried Peter, der bei der Regionaldirektion Sachsen der Agentur für Arbeit den Programmbereich Arbeitnehmer leitet, sagte, die Flexibilität der Zeitarbeit habe die Ansiedlung von BMW in Leipzig erst möglich gemacht. „Damals hatten wir hier ein Heer von Arbeitslosen.“ Es ginge eben den meisten Menschen auch um die Arbeitsplatzsicherheit, aber sie wollten auch die Sicherheit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen: „Und genau dafür bietet die Zeitarbeit eine gute Chance.“ Die Personalpolitik des BMW-Werkes in Leipzig war vielfach attackiert worden, weil es 20 Prozent Zeitarbeitnehmer beschäftigt.

Peter wünschte sich jedoch, dass die Beschäftigungszeiten bei den Personaldienstleistern „nach oben gehen“. In Sachsen sei diese positive Entwicklung bereits erkennbar. IHK-Chef Bruntsch ergänzte, dass die Einstellung der Unternehmen entscheidend sei: „Nach einer gewissen Einarbeitungszeit und zu einem Zeitpunkt, an dem die Zeitarbeiter wirklich die gleiche Leistung lieferten wie die Festangestellten, wird oft auch gleich bezahlt.“

Gewerkschafts-Vize Schlimbach bestätigte, dass Zeitarbeit nicht für jedes Unternehmen günstiger sei als die Einstellung eines eigenen Mitarbeiters. Andererseits könne er die Personaldienstleister verstehen, die permanent damit rechnen müssten, dass ihre Besten von den Kundenunternehmen abgeworben würden: „Wenn weiter an den Stellschrauben Bezahlung und Weiterbildung gedreht wird, kann es aber gelingen, die qualifizierten Menschen dort zu halten.“

Schon jetzt, so berichtete Arbeitsagentur-Bereichsleiter Winfried Peter, würden nicht alle Zeitarbeitnehmer über seine Institution vermittelt: „Viele Beschäftigungslose bewerben sich heute selbstständig bei Personaldienstleistern.“ Sein eigener Neffe habe sich in der Zeitarbeit sehr wohl gefühlt: „Vor allem wegen der Flexibilität, die er dort bewiesen hat, hat ihn inzwischen Volkswagen fest eingestellt.“

Gefragt, welche Quote von Zeitarbeitnehmern er in einem Unternehmen für tolerabel halte, nannte Schlimbach die Zahl von fünf Prozent. Deutschlandweit sind heute zwei Prozent aller Angestellten bei Personaldienstleistern beschäftigt. Aus Sicht des Gewerkschafters besteht also durchaus noch Luft nach oben. Doch er machte gleichzeitig klar, dass dies in normalen Formen ablaufen müsse und nannte dafür ein Negativ-Beispiel: „Eine Eisengießerei im Erzgebirge arbeitet derzeit mit 75 Prozent entsendeten Arbeitskräften. Das hat nichts mehr mit üblichem Unternehmertum zu tun.“

IHK-Präsident Bruntsch erkannte aufgrund der zahlreichen Start-ups in Sachsen auch eine große Chance für die Branche: „Die jungen Unternehmen, die oft aus unseren wissenschaftlichen Instituten hervorgehen, suchen händeringend nach hochqualifizierten Leuten und finden sie vielfach nicht. Es wäre ein neues Feld für die Zeitarbeit, auch solche Spezialisten zu vermitteln.“

Nach etwas mehr als einer Stunde beendete Moderator Michael Wehran die ausgesprochen konstruktive Gesprächsrunde. Mit der Frage, warum die Diskussion über Zeitarbeit anders als zum Beispiel in der Hauptstadt Berlin in Sachsen so ergebnisorientiert verlaufe, bat er Co-Gastgeber Günter Bruntsch um das Schlusswort. Dieser antwortete trocken: „Weil wir alle – Gewerkschaften, Politik, IHK – am Wohl Sachsens und seiner Bürger interessiert sind.“ Es widersprach – niemand.

Vor der Podiumsdiskussion hatte Zukunftsforscher Matthias Horx seine Visionen der Arbeitswelten von morgen präsentiert. Den Bericht darüber lesen Sie hier. Einzelne Statements der Diskutanten finden Sie in diesen Videos. Einen kurzen Zusammenschnitt von der Podiumsdiskussion finden Sie hier.

Es folgen noch vier weitere regionale Events des BAP und der Kampagne „Die Zeitarbeit: Einstieg. Aufstieg. Wachstum.“ in Köln, Frankfurt (Main), Stuttgart und Hamburg.

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