
Im Grunde seien alle Zukunftsfragen Kooperationsfragen, so der Zukunfts- und Trendforscher Matthias Horx. „ Die Frage ist, ob bestimmte Interessensgruppen miteinander kooperieren können – dann kommt es zu einer Win-Win-Situation –, oder ob sie gegeneinander agieren, streiten und Unterschiede betonen.“ Dies gelte auch für die Arbeitswelt und damit für die Zeitarbeit. Matthias Horx sprach im Haus der Wirtschaft Baden-Württemberg in Stuttgart vor rund 130 Zuhörern über seine Vorstellungen, wie die (Arbeits-)Welt der Zukunft aussehen könnte. Eingeladen hatte der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP). Die Veranstaltung war Bestandteil einer Reihe mit Zukunftsforscher Horx, die der BAP und seine Partner der Branchenkampagne „Die Zeitarbeit: Einstieg. Aufstieg. Wachstum.“ unterstützen.
Eröffnet wurde der Abend von Ralph Bräuchle, Geschäftsführer von agilitas Personaldienstleistung, Vorstandsmitglied des BAP und BAP-Regionalsprecher Süd-West. Er begrüßte Matthias Horx, Gäste und Kampagnen-Unterstützer sowie die Teilnehmer der Podiumsdiskussion: Gabriel Berger von Südwestmetall, Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V., Referatsleitung Arbeitsrecht, Alexandra Neukam, Fachliche Leiterin Vermittlung und Beratung bei der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Baden-Württemberg, Heidi Scharf, 1. Bevollmächtigte (Geschäftsführerin) der IG Metall Schwäbisch Hall, sowie den Zeitarbeitnehmer Christian Filip, Gesundheits- und Krankenpfleger bei agilitas Personaldienstleistung.
Die Welt, die Zukunftsforscher Horx beschrieb, ist im Wandel. Fünf Megatrends beeinflussen sie – langsam, aber dennoch stetig, parallel und ungeordnet. Alles hat massive Auswirkungen darauf, wie wir die Welt erleben. Ein Megatrend heißt Konnektivität: Menschen sind nicht mehr an einen Ort gebunden, sondern mobil und überall vernetzt. Megatrend Individualisierung: Den einen korrekten Lebensentwurf gibt es nicht mehr, zur jetzigen Daseinsform bieten sich immer auch Alternativen. Menschen haben immer mehr Wahlmöglichkeiten, zum Beispiel im Bezug auf Partner oder Beruf. Allerdings seien wir in dieser individualisierten Welt eben auch darauf angewiesen, selbstständig Entscheidungen zu treffen, so Horx. „Wir müssen wählen, das kann auch unangenehm sein.“ Megatrend Downaging: Menschen leben länger und fühlen sich auch länger wohl. Mehr Menschen nehmen damit auch länger aktiv am (Arbeits-)Leben teil, Phasen des Umbruchs und der Umorientierung steigen stetig an.
Die Frauen setzen laut Horx den nächsten Megatrend: Der Forscher betonte nicht nur, dass Frauen in Deutschland seit dem Jahr 2010 ein durchschnittlich besseres Bildungsniveau als Männer aufweisen würden. Er stellte auch klar, dass sie zukünftig auch immer mehr in Unternehmen strömten und so der „männlichen Präsenzkultur“ etwas entgegensetzen könnten. „Die Männer bleiben einfach im Büro sitzen. Und dann machen sie Karriere“, sagte Horx. Andere Länder seien diesbezüglich weiter: Wer beispielsweise in Schweden länger als gewöhnlich arbeite, werde recht bald im persönlichen Gespräch gefragt, ob etwas nicht in Ordnung sei.
Ein Netzwerk mit zusammengestellten Teams sei zukünftig effektiver für Unternehmen, die bisher noch auf feste Führungsriege und festen Mitarbeiterstamm setzten. „Flexicurity“ sei gefragt, ein System, das Sicherheit und gleichzeitig Flexibilität gewähre. Bei Unternehmen müsse es auch zukünftig darum gehen, Mitarbeitern in verschiedenen Lebens- und Umbruchssituationen entsprechende Verträge und Perspektiven anzubieten. Lediglich 14 Prozent aller Erwerbstätigen hätten heutzutage noch nie ihren Arbeitgeber gewechselt, sagte Horx. Im Durchschnitt habe man aktuell drei bis vier Arbeitgeber in seiner Berufskarriere, „die Tendenz geht nach oben“.
Schon der Begriff und die Vorstellung von Arbeit vereint nach Horx Gegensätze: zum einen die Wünsche nach Sinn und Selbstverwirklichung, zum anderen jedoch auch die tiefe Angst vor der Frage: Wie entbehrlich bin ich eigentlich? Viele von uns teilen laut Horx ihren Tag auch noch immer auf in Arbeitszeit oder „Pflicht-Zeit“, in der man sich selbst beim Arbeitgeber „abgebe“, und in „Frei-Zeit“, also die Zeit, in der man für sich sagen könne: „Das bin dann auch wirklich ich.“ Horx betonte aber: „Arbeit war auch immer schon Selbstverwirklichung. Ohne Arbeit sind wir auf Dauer gar nicht lebensfähig. Wir brauchen das Gefühl, alleine oder gemeinsam etwas erreicht zu haben.“
Debatte um Flexibilität und Zeitarbeit
Wie sehr ist Flexibilität heutzutage auf dem Arbeitsmarkt schon vorhanden? Und welche Rolle hat die Zeitarbeit – nun und in der zukünftigen (Arbeits-)Welt von morgen? Die Podiumsteilnehmer beleuchteten unter anderem diese Fragen aus verschiedenen Perspektiven. Moderiert wurde die Diskussion von Rainer Pörtner, Politik-Ressortleiter der Stuttgarter Zeitung.
In Bezug auf Fachkräfte biete die Region Baden-Württemberg einen „ausgeprägten Bewerbermarkt“, stellte Alexandra Neukam zu Beginn der Debatte fest. Arbeitgeber, die flexible Arbeitsmodelle anbieten würden – zum Beispiel in puncto Vereinbarkeit von Familie und Beruf – seien dementsprechend attraktiv. Heidi Scharf bestätigte: Einige Arbeitgeber in der Region würden solche Modelle bereits anbieten, zum Beispiel kürzeres Arbeiten in Familienphasen oder im Alter. Scharf betonte allerdings auch: Viele Arbeitnehmer hätten das Bedürfnis nach Sicherheit und somit auch den Wunsch, langfristig bei einem Arbeitgeber zu bleiben – gerade, wenn dieser eben flexible Arbeitsmodelle anbiete. Gabriel Berger sah aus Arbeitgebersicht ebenfalls die Notwendigkeit, sich ausreichend für dringend benötigte Fachkräfte attraktiv zu machen. „Der Bewerbermarkt ist umkämpft“, meinte Berger.
Christian Filip gab einen unmittelbaren Einblick in seinen Arbeitsalltag – der Krankenpfleger, der früher fest in einem Krankenhaus angestellt war, ist nun Zeitarbeitnehmer. Diese berufliche Entscheidung sei bewusst gefallen, so Filip. „Mir hat die Abwechslung gefehlt.“ Außerdem habe er sich beruflich weiterentwickeln wollen. Unterschiede hinsichtlich der Behandlung von Zeitarbeitnehmern und Stammbelegschaft konnte er nicht feststellen, „wie alle anderen“ sei er angelernt und eingearbeitet worden. Auf die Entlohnung angesprochen, entgegnete Filip: „Ich werde sogar besser bezahlt.“
Erfüllt denn die Zeitarbeit das Flexicurity-Konzept, das Zukunftsforscher Matthias Horx im Vortrag angesprochen hatte? Gabriel Berger stellte zunächst fest, dass Zeitarbeit vielen die „Chance zum Einstieg oder Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt“ bieten würde. Wer ein sehr ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis habe, solle sich hingegen überlegen, ob Zeitarbeit seine bevorzugte Arbeitsform darstelle. Alexandra Neukam meinte, es gebe immer Situationen, in denen Zeitarbeit sinnvoll sei – „beispielsweise, um erste Berufserfahrungen zu machen und sich zu orientieren“. Um weiter zu kommen, sei aber kontinuierliche Qualifizierung nötig. Heidi Scharf erinnerte nochmals an das „große Sicherheitsbedürfnis“ vieler Arbeitnehmer. „Man will flexibel sein und sich verändern, aber in dem Betrieb, von dem ich weiß: Hier habe ich einen sicheren Arbeitsplatz.“ Matthias Horx sagte, in puncto Flexicurity seien zukünftig in der Zeitarbeit auch „Mischformen“ wie Vermittlungsarbeit denkbar: Gerade in „starren“ Arbeitsbereichen ohne effektive Aufstiegschancen könne die Branche dann als beratendes „Befreiungselement“ wirken. Horx: „Es geht dann darum, Menschen an die Hand zu nehmen und zu sagen: Du hast Talente und steckst in deinem Job fest. Wir zeigen dir verschiedene Möglichkeiten auf, positionieren dich – und du kannst dich ausprobieren.“
Im Rahmen der Branchenkampagne „Die Zeitarbeit: Einstieg. Aufstieg. Wachstum.“ wird Matthias Horx noch in diesem Jahr in München seine Trends und Thesen über die Zukunft der Arbeit präsentieren.
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